Im Rahmen des Rechtsreferendariats hat man in Deutschland als angehender Anwalt die Möglichkeit, zumindest Teilabschnitte im Ausland zu absolvieren. Dies ist eine hervorragende Möglichkeit, um vor Beginn des Berufslebens nochmal aus dem gewohnten Umfeld herauszukommen. Für mich stand schon früh fest, dass ich meine Wahlstation im Ausland absolvieren wollte. Unmittelbar nach den schriftlichen Prüfungen bietet es sich an, das eigene juristische Urteilsvermögen mit anderen juristischen Impulsen zu versorgen, und auch die Wartezeit auf die Prüfungsergebnisse im kulturellen Neuland zu versüßen.
Meine ersten Planungen hatte ich unmittelbar zu Beginn des Referendariats und der COVID-Pandemie in der Hoffnung angestellt, dass sich die pandemische Lage bis zum Antritt meiner Station normalisieren würde. Wie ich dann feststellen musste, erwies sich dies als Fehleinschätzung und die Planungen waren demnach alles andere als einfach. Jeder Schritt war mit viel Aufregung und Ungewissheit verbunden, selbst nach Reisebeginn. Allgegenwärtig war die Sorge, ob sich die Anstrengungen für einen Aufenthalt lohnen würden.
Die Anfangsplanung: Qual der Wahl bezüglich des Zielorts
Doch wo sollte es hingehen? Während meiner Recherchen stieß ich dann auf Hong Kong. Zwei YouTube-Dokumentationen und Reiseberichte von Freunden genügten, um meine Neugierde zu wecken. Insbesondere die Bilder von leuchtenden Neon-Reklameschildern, der Mix aus westlicher und asiatischer Kultur, das pulsierende Großstadtleben und atemberaubende Natur machten Lust auf mehr.
„Auch Wochen nach meiner Ankunft hielt Hong Kong an jeder Ecke Überraschungen für mich bereit. Langweilig wurde es nie.“
Ich spürte früh, dass die Uhren in dieser Finanzmetropole schneller ticken. Eine weitere Sache kann ich schon jetzt vorwegnehmen: meine Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Auch Wochen nach meiner Ankunft hielt Hong Kong an jeder Ecke Überraschungen für mich bereit. Langweilig wurde es nie.
Bevor es los ging: Studieren, Preparieren und Isolieren
Der Umfang der Vorbereitungen für meinen Aufenthalt war jedoch enorm. Die Buchung der Unterkunft (hierzu empfehle ich „Airbnb“) und Flüge gestalteten sich noch am einfachsten. Ich legte mich frühzeitig fest und buchte eine kleine Unterkunft auf Hong Kong Island in der Nähe der Kanzlei. Die Kontaktaufnahme mit meinen Vermietern erfolgte direkt über die Plattform und man war sich schnell sympathisch. Ansonsten hörte ich auch von Bekannten, dass in Facebook-Gruppen viele Wohnungen und Zimmer zur Zwischenmiete vermittelt werden, sodass man auch auf unkonventionellem Wege zu einer Unterkunft finden kann.
Neben dem Papierkram für die Referendarsabteilungen der Stammdienststelle und des Oberlandesgerichts waren auch noch Visumsangelegenheiten, der Abschluss einer Auslandsreisekrankenversicherung und COVID-spezifische Vorbereitungen zu erledigen.
„Die Unterstützung, die ich von meiner Ausbildungskanzlei bekam, sorgte für Entlastung und bekräftigte mich in meinem Vorhaben. So war auch die Beantragung meines Visums dank guter Vorbereitung nur noch eine Formsache.“
Zu letzterem gehörte insbesondere auch die tägliche Beobachtung der sich ständig ändernden Einreiseregularien Hong Kongs und das Zusammenstellen aller Nachweise und Bescheinigungen. Auch die Buchung eines Quarantäne-Hotels, in welchem die zu meinem Zeitpunkt der Einreise erforderliche 14-tägige Isolation verbracht werden musste, erforderte viel Einsatz.
Zwischenzeitlich dachte ich daran, meine Pläne zu verwerfen. Neben dem Vorbereitungsstress auf die anstehenden schriftlichen Prüfungen, war das Prozedere manchmal sehr strapazierend. Jedoch hielt ich an meinem Vorhaben fest und wurde dafür belohnt.
Aussicht auf das Fischerdorf Shek O mit Strand und
Golfplatz im Süden von Hong Kong Island.
Die Unterstützung, die ich von meiner Ausbildungskanzlei bekam, sorgte für Entlastung und bekräftigte mich in meinem Vorhaben. So war auch die Beantragung meines Visums dank guter Vorbereitung nur noch eine Formsache, die auch schnell durch die Hong Konger Behörden bearbeitet wurde. Aber auch bei allen anderen Fragen rund um die Vorbereitung hatte ich immer Ansprechpartner, die mir zur Seite standen. Doch wie fand ich meine Stationskanzlei überhaupt?
Meine Ausbildungskanzlei „Ravenscroft & Schmierer“: Die Nadel in der Metropole
Die Suche nach einer Station gestaltete sich wesentlich leichter als gedacht. Ich stieß im Internet nach kurzer Zeit auf die Kanzlei „Ravenscroft & Schmierer“. Managing Partner Stefan Schmierer ist der einzige in Hong Kong lebende Jurist, der als deutscher Rechtsanwalt zugleich über die Zulassung als Solicitor in Hong Kong verfügt. So zögerte ich nicht lange und bewarb mich mit der Absicht, Herrn Schmierer und seinen „German Desk“ zu unterstützen.
Kurz nach Einreichung meiner Bewerbungsunterlagen folgten zwei Videogespräche und es stellte sich hierbei heraus, dass es für mich die perfekte Gelegenheit wäre, um mein erworbenes Wissen über das deutsche Rechtssystem in die Schnittstelle „German Desk“ einzubringen, zeitgleich das „Common Law“ in Hong Kong kennenzulernen und durch den Kontakt mit internationalen Mandanten und Kollegen mein Englisch zu verfeinern. Glücklicherweise erhielt innerhalb kurzer Zeit die Zusage.
„Auch in Deutschland lebende Privatpersonen, die erb- oder familienrechtliche Beratung benötigen, gehören zum Mandantenstamm. Für mich speziell waren auch die Tätigkeiten für Opfer von Betrugsfällen außergewöhnlich.“
Die mittelständische Kanzlei ist international gut aufgestellt und hat ein breitgestreutes Tätigkeitsfeld, da sowohl im internationalen als auch lokalen Recht beraten wird. Diesem kommt entgegen, dass das Team aus Juristen aus verschiedenen Rechtsgebieten besteht.
Seitenstraße des Quarantänehotels im Bezirk Sheung Wan.
Insbesondere deutschsprachige Unternehmen, die Handelsbeziehungen mit Hong Kong unterhalten, oder dort über eine Niederlassung verfügen, konsultieren den „German Desk“ der Kanzlei für Beratungen unter anderen im Gesellschafts-, Handels-, Steuer-, Arbeits- oder auch im allgemeinen Zivilrecht. Auch in Deutschland lebende Privatpersonen, die erb- oder familienrechtliche Beratung benötigen, gehören zum Mandantenstamm. Für mich speziell waren auch die Tätigkeiten für Opfer von Betrugsfällen außergewöhnlich. Mit dieser Art von Fällen hat man in Deutschland eher selten zu tun. Doch dazu gleich mehr.
Alltag in der Kanzlei: Vom Handels- und Gesellschaftsrechts bis zum „Tinder-Swindler“
Mein erster Tag begann mit dem Kennenlernen der Kollegen. Nach einem sehr freundlichen Empfang ging es dann auch schon direkt los. Es folgte der „Sprung in das kalte Wasser“. Mir wurde von Anfang an viel Verantwortung und die direkte Arbeit mit den Mandanten übertragen. Dies beinhaltete sämtliche Tätigkeiten: vom Erstkontakt, über die normale Korrespondenz, bis hin zur Abwicklung des Mandats. Dabei war das Team stets für Rückfragen meinerseits verfügbar, sodass ich mich in meiner neuen Rolle durchaus wohl fühlte und Spaß an der Herausforderung verspürte.
Die Tätigkeiten waren teilweise juristisch sehr anspruchsvoll: so durfte ich zum Beispiel ein Gutachten in einer Sache fertigen, in welcher unser Mandant, eine deutsche Personengesellschaft, innerhalb der eigenen Konzernstruktur mehrere Unternehmen auf eine Tochtergesellschaft übertragen hatte.
Das gesamte Prozedere musste aus der Sichtweise des deutschen Handels- und Gesellschaftsrechts dem Hong Konger Finanzamt („Inland Revue Department“) erklärt werden. Eine Übertragung von Gesellschaftsanteilen kann in Hong Kong steuerlichen Privilegierungen unterliegen, wenn die Beteiligten gewisse Parameter erfüllen. Diese sind im Gesetz jedoch nur für Hong Konger Gesellschaftsformen formuliert. Das Gesetz kennt die „deutschen“ Gesellschaftsformen nicht, sodass es darum ging, deutsche Personen- und Kapitalgesellschaften mit den Hong Konger Gesellschaftsformen zu vergleichen und die Gemeinsamkeiten darzustellen, sodass auch die deutschen Unternehmen von dieser steuerlichen Besserstellung profitieren können.
Blick zum Himmel hoch von einem Sportplatz in Mitten der Stadt.
Aber auch andere Rechtsfragen werden in internationalen Konstellationen keineswegs simpler, sodass hierbei immer umfassend geprüft werden muss, welche Rechtsnormen anzuwenden sind. Häufig muss man sich sodann auch mit verschiedenen Rechtsgebieten auseinandersetzen, was auch sprachlich herausfordern ist.
Ich war nicht nur mit klassischer Schreibtischarbeit beschäftigt. Viele außergewöhnliche Tätigkeiten prägten meinen Arbeitsalltag: ich ging mit Kollegen auf die Suche nach einem Testament, machte sogenannte „Site Visits“, in welchen man unauffällig Geschäftsadressen im Auftrag des Mandanten prüft, und begleitete Kollegen zu Gericht. Die Gerichtsbesuche waren interessant und die dortigen Gepflogenheiten stehen im krassen Gegensatz zu denen der deutschen Gerichtssäle. In Ansehung der Rahmenbedingungen eines Strafprozesses vermochte mich die in Hong Kong sehr niedrig ausfallende Kriminalitätsrate kaum noch überraschen. Als Angeklagter darf man während der Hauptverhandlung nicht Platz nehmen und auch die Tonart, mit der die Staatsanwaltschaft und der Richter den Angeklagten angehen, war mir aus deutschen Gerichtssälen nicht bekannt und wirkte einschüchternd. Aber auch die mündliche Verhandlung in Zivilsachen hatte eine andere Dynamik.
„Als Angeklagter darf man während der Hauptverhandlung nicht Platz nehmen und auch die Tonart, mit der die Staatsanwaltschaft und der Richter den Angeklagten angehen, war mir aus deutschen Gerichtssälen nicht bekannt und wirkte einschüchternd.“
Häufig hatten wir auch mit Mandanten zu tun, die auf unterschiedlichste Weise um viel Geld betrogen wurden. Dort waren zumeist nicht die juristischen Fragen maßgeblich, sondern der zwischenmenschliche Umgang mit einem Menschen, der um sein gesamtes Vermögen gebracht wurde. Darüber hinaus waren die Betrugsmaschen sehr komplex. Komplizierte Investmentbetrügereien durch erfundene Broker-Plattformen und Liebesschwindeleien waren hier keine Seltenheit.
Hier war vor allem Schnelligkeit gefragt. So musste dafür Sorge getragen werden, dass das Geld auf den Konten der Betrüger verblieb und diese „eingefroren“ wurden. Zeitgleich mussten gerichtliche Schritte eingeleitet werden, um an diese Gelder heranzukommen. Doch Betrüger sind raffiniert und lassen das Geld schnell in verschiedene Richtungen fließen, sodass hier wirklich viel Recherche und Raffinesse von Nöten war. Das während des Studiums und Referendariat erlangte Wissen half zwar häufig weiter, aber die „Realität“ forderte noch viel mehr.
Fischerhafen der idyllischen Insel Cheung Chau.
Auch neben der Arbeit war im Büro viel zu erleben: nach Feierabend resümierten wir gemeinsam bei einer Pizza oder dem traditionellem „Hot-Pot“ die Woche und verbrachten eine gute Zeit miteinander. Manchmal zogen wir danach auch noch in Bars weiter, wo wir das Hong Konger Nachtleben aufsogen. So hatte ich auch neben der Arbeit Gelegenheiten, die aus verschiedenen Kulturkreisen stammenden Kollegen besser kennenzulernen. Dies war nicht nur lebhaft, sondern eröffnete mir auch neue Perspektiven.
Verträumte Fischerdörfer, die beste Pizza der Welt und mehr im ‘‘Duftenden Hafen‘‘
Neben der Arbeit war die Stadt als solche ein großes Erlebnis für mich. Wie eingangs erwähnt, reiste ich inmitten der COVID-Pandemie nach Hong Kong. Der Name der Stadt übersetzt sich auf Deutsch ürbigens mit ‘‘Duftender Hafen‘‘. Nach der 14-tägigen Quarantäne war ich in der „Blase“ drin und Hong Kong empfing mich mit offenen Armen. Die vor Ort herrschenden Einschränkungen störten sodann kaum. Die Stadt stand nie still und es gab immer und überall etwas zu erleben. Selbst die regelmäßigen Mittagessen mit den Arbeitskollegen in einem der Dim-Sum-Restaurants wurden nie „gewöhnlich“. Irgendwelche neuen Spezialitäten gab es immer zu probieren. Aber auch sonst bietet Hong Kong kulinarisch einiges: durch die internationale Bevölkerung gibt es Köstlichkeiten aus der ganzen Welt. Ich habe in Hong Kong die für mich beste Pizza der Welt gegessen. Ich wollte es auch kaum glauben.
Außerdem entdeckte ich das Wandern für mich. Selbst vor der Reise war mir kaum klar, dass Hong Kong inmitten einer grünen Oase liegt. Die Übergänge von Stadt und Natur sind mitunter fließend und bieten unheimlich spannende Ansichten. Das Grün, was die Stadt umgibt, vermittelt das Gefühl weit weg von jeglicher Zivilisation zu sein, obwohl der Großstadt-Dschungel nur wenige Minuten von der MTR (der U-Bahn Hong Kongs) entfernt ist.
Und nicht nur auf Hong Kong Island oder in den New Territories gibt es viel Natur: Mit der Fähre gelangt man schnell auf Hong Kongs zahlreiche Inseln, die wiederum ein ganz neues Gefühl vermitteln. Verträumte Fischerdörfer im mediterranen Stil, und das mitten in Asien.
„Die Offenheit der Menschen in Hong Kong, die ich noch nie anderswo auf dieser Welt erlebte, war einzigartig.“
Aber auch die Begegnungen mit Menschen aus der ganzen Welt waren besonders. Jeder hatte seine eigene Geschichte, die ihn nach Hong Kong brachte. Und auch der Umstand, dass viele Leute zunächst ohne Freunde und Familie nach Hong Kong gehen, scheint verstanden zu werden. So ist es nicht selten, dass man innerhalb weniger Tage zu Partys, Wanderungen oder „BBQ-Happenings“ eingeladen wird, wo man neue Leute kennenlernt. Die Offenheit der Menschen in Hong Kong, die ich noch nie anderswo auf dieser Welt erlebte, war einzigartig.
Ein traditionelles Hong Konger Dim-Sum-Restaurant.
Rückkehr? Schon jetzt fiebere ich meinem nächsten Aufenthalt in Hong Kong entgegen!
Während ich mein eigen für die Reise angeschafftes Tagebuch nochmal durchblätterte, schwelge ich unentwegt in Erinnerungen an diese großartige Zeit. Ich stehe weiterhin mit vielen Leuten in Kontakt, die ich in Hong Kong kennenlernte, und es entstanden eine Vielzahl von neuen Freundschaften. Insbesondere der Kanzlei gebührt mein Dank; von den dort gemachten Erfahrungen zehre ich noch immer und vermisse die Zusammenarbeit mit dem dortigen Team.
Aussicht vom Victoria Peak auf die Skyline der Stadt bei einer Nachtwanderung.
Es dauerte eine ganze Weile, um die vielseitigen Eindrücke zu verarbeiten. So ganz ist es mir bis heute nicht gelungen, sodass ich schon jetzt meinem nächsten Aufenthalt in Hong Kong entgegenfiebere. Um wieder vor den Neon-Reklame-Schildern zu stehen, mein Handy zu zücken und mich zu ärgern, dass es „in echt viel besser als auf den Fotos wirkt“. Dies steht sinnbildlich für mein Abenteuer in Hong Kong: schaut es euch nicht nur auf Bildern an, sondern erlebt die Stadt. Ihr werdet es nicht bereuen.
Philipp Beckmann hat an der Ruhr-Universität Bochum Jura studiert, ist zur Zeit Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Hamm und hat sein Praktikum bei Ravenscroft & Schmierer im Februar 2022 abgeschlossen.
Comments